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Autor Thema: In den Armen des Meeres  (Gelesen 1354 mal)

0 Antworten am In den Armen des Meeres
am: 10. Februar 2011, 08:51:19

Offline TC Melanie

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Moscheen und Nachtclubs, Meeresrauschen und Verkehrschaos, Vergangenheit und Gegenwart - die Metropole am Bosporus ist voller Widersprüche und verbindet doch Welten miteinander.

Wenn ein Mensch in Istanbul ankommt, bekommen seine Haare Locken vom Meer. In Istanbul weiß man nicht, ob das Meer die Stadt in seinen Armen hält oder die Stadt das Meer.

Mein erstes Istanbul-Bild als Kind: mein Vater am Meer. Er nahm seinen Borsalino-Hut vom Kopf und sagte zu den Wellen: "Das Meer ist wie eine Frau. Wann sie hoch kommt, wann sie sich zurückzieht, weiß ein Mann nie." Das Istanbuler Meer ist vielleicht eine Frau. In meiner Kindheit und Jugend schickte es manchmal mit seinen Wellen Tausende von Fischen zum Ufer. Die Menschen kamen mit Eimern in den Händen und sammelten die Fische, die sich noch auf den kleinen Steinen hin- und herwarfen. Manchmal aber wurde diese Frau zum Mann.

Das Meer war ein Mann, wenn der Südwestwind die Schiffe, die zwischen der asiatischen und der europäischen Seite von Istanbul hin- und herfuhren, mit seinen hohen Wellen mal nach links und mal nach rechts schlug. Und die Menschen auf dem Schiff und die Teegläser auf der Schiffsbar rutschten hin und her, und draußen stiegen, vom Schiffsfenster aus gesehen, die beiden Ufer von Istanbul hoch und stürzten herab, mit ihren Häusern, den byzantinischen Mauern, den orthodoxen und armenischen Kirchen, dem Genueser Turm und den osmanischen Palästen und Moscheen.

An solchen Tagen sagten die Menschen, das Meer ist ein Sultan, es hört auf niemanden. Mit dem Meer kann man nicht sprechen. Wer in diese Wellen fällt, wird sogar eine Schlange umarmen, um sich zu retten. So war das Istanbuler Meer mal eine Frau, mal ein Mann, mal ein liebendes Herz: Wenn die Leute über eine leidenschaftliche Liebe sprechen, sagen sie: "Das Meer kann nicht ohne Wellen sein und das Herz nicht ohne Liebe."

Man fährt in Istanbul täglich über das Meer, das manchmal eine Frau, manchmal ein unbarmherziger Sultan und manchmal ein liebendes Herz ist. Wenn das Meer wie ein Sultan ist, wird das Springen vom Ufer auf das Schiff gefährlich. Das Schiff bewegt sich am Kai hin und her, entfernt sich von der Kaimauer und klatscht wieder an die Wand. Man kann ins Meer fallen und vom Schiff zerquetscht werden. Deswegen sagte meine Mutter mir jeden Tag, wenn ich zur Schule auf der europäischen Seite fuhr: "Spring nicht auf das Schiff, bevor der Steg ausgelegt ist. Mit den Wellen kann man nicht scherzen."

Die beiden Ufer von Istanbul erinnern mich an ein Märchen, das meine Großmutter mir als Kind erzählte: Es war einmal, es war keinmal. In einem Land suchte ein junger Mann nach dem schönen Vogel Zümrüt-ü Anka, um mit ihm zum Berg Ararat zu fliegen. Dort wollte er einen heiligen Mann treffen, der auf die drei Fragen Antworten wusste, die der Sultan dem jungen Mann gestellt hatte. Er kam auf dem Weg zum Vogel in das Haus eines Riesen. Die Riesenmutter saß da und schärfte ihre Zähne, der junge Mann nahm sofort die Brüste der Riesenmutter und saugte Milch aus ihnen. Die Riesenmutter sagte: "Menschenkind, Menschenkind, ich hätte dich jetzt gegessen, aber du hast meine Milch getrunken, jetzt werden meine Söhne kommen und dich essen. Hier ist ein Spiegel, lauf weg. Wenn meine Söhne in deine Nähe kommen, wirf den Spiegel hinter dich." Die Riesensöhne kamen, und die Mutter versteckte den Jungen unter ihren Beinen. Die Riesensöhne sagten: "Mutter, hier riecht es nach Menschenfleisch." Sie sogen mit ihren Nasen die Luft ein, bis unter die Beine ihrer Mutter. Die Riesenmutter sagte: "Lauf." Der Junge lief weg, die Riesen hinter ihm her, der Junge schaute sich um und sah sie kommen. Er warf den Spiegel, und es entstand ein großes Meer. So blieben die Riesensöhne am anderen Ufer.

Das passiert auch in Istanbul. Du wirfst den Spiegel hinter dich, und das Meer entsteht zwischen dir und deiner Wohnung. Du bist an einem anderen Ufer, auf einem anderen Kontinent, in einem anderen Leben. Man kann in Istanbul jeden Tag den Spiegel hinter sich werfen. Das Meer ist immer da. Europa ist da.

Asien ist da. Die Lichter Europas sind von Asien aus zu sehen, und die Lichter Asiens von Europa aus. Aber das Istanbuler Meer wohnt nicht nur zwischen Asien und Europa, sondern auch in allen Istanbuler Häusern. Jedes Istanbuler Fenster wackelt mit dem Wind des Meeres. Die alten Menschen sagen, dass das Meer in ihren Beinen wohnt. In jedem Bett gibt es den nassen Geruch des Meeres. Und an den Tagen, an denen das unruhige Meer die Schiffe nach rechts und nach links schlägt, schwanken die Menschen in ihren Betten weiter, als schliefen sie auf Wellen, wenn sie nach der Arbeit auf den Schiffen nach Hause gekommen sind.

Wenn ich als Kind in meinem Bett wie auf einem von Wellen getragenen Boot wach wurde und zum Fenster lief, um zu sehen, ob das Meer noch draußen lag - oder ob es, wie ich, aus seinem Bett gestiegen war, um sich in die Istanbuler Häuser zu schleichen und die Millionen Menschen zu schaukeln -, sagte mir meine Großmutter: "Komm, schlaf! Wenn du nicht schläfst, werden die Nacht und das Meer auch nicht schlafen und ihre Geister wecken."

In der Nacht sind die Istanbuler Geister da. Das sind die nicht kastrierten Katzen, die über die Dächer nach Liebe schreien, oder die Hunde, die von einer Gasse zur anderen ziehen, und, wenn die Muezzins die Morgengebete singen, von unten gemeinsam in Richtung Minarett bellen, bis das Gebet zu Ende ist. Dann klatscht das Wasser auf die Körper der am Kai ruhenden Schiffe. Die Äste der Bäume zittern im Wind des Meeres, die Schiffe hupen, und die Straßenverkäufer fangen in den Gassen zu schreien an, um ihre Waren zu verkaufen: "Seesaaaaamkrrriiiiingeeeeeel."

Jeder Straßenverkäufer in Istanbul hat seine eigene Art zu schreien. "Waaaasssseeer! Seesssaaaamkrriiingeeel! Guuuute Banaaaanen! Meeesserschääärfer! Wassermelonen, rot wie Blut! Bohnen, zart wie eine Jungfrau!" Diese Verkäufer sind Bauern. Sind mit aufgerollten Betten nach Istanbul gekommen, im Glauben, die Straßen von Istanbul seien aus Gold. Dann erfanden sie Arbeiten, etwa das Wasserverkaufen. Wenn man in Istanbul die Augen schließt und ihrem Schreien zuhört, lebt die Stadt in ihren Stimmen immer weiter. Ihre Stimmen sind das Oratorium von Istanbul. "Waaassseeeer kaaalt wieee Eiiis! Foootooo, Foootooo! Souveeeniiiir Istaaanbuuul!"

Meine Eltern hatten sich an dem Tag, an dem sie in der Stadt ankamen, als erstes von einem Straßenfotografen ablichten lassen. Der Mann stellte sie vor ein Tuch, das er an die Mauer gehängt hatte, und das mit dem Istanbuler Meer, den Istanbuler Möwen und den Istanbuler Schiffen bestickt war. Wenn ein Mensch, egal woher, nach Istanbul kommt, macht Istanbul ihm Platz. Und die Möwen am Himmel machen Platz für die neuen Vogelfamilien, egal woher diese Vögel stammen.

Wer ist der Istanbuler?

Möwen, Vögel, Menschen, Katzen, sie alle wollen Istanbuler sein. Aber wer ist der Istanbuler? Weiß Istanbul, wer Istanbuler ist? Vielleicht wusste Istanbul das vor 50 Jahren besser, als nur 1,4 Millionen Menschen hier lebten und nicht, wie heute, um die 14 Millionen. Man sagte damals: Ein Istanbuler ist jemand, der "Gaumen" hat, der den Geschmack des Wassers und des Weines kennt, alle Fische und ihre Namen.

Jeder Stadtteil hatte seine eigene Spezialität. In dem einen wurde der beste Joghurt hergestellt, in dem anderen die besten Maulbeeren gezüchtet, in wieder einem anderen gab es die besten Erdbeeren, die besten Bohnen oder Melonen. Noch heute gehen die Istanbuler gemeinsam an diese Orte. Istanbuler sein heißt noch immer, den Geschmack der Dinge kennen. Man kann heute die Istanbuler Straßen, auf denen Millionen unterschiedlicher Menschen laufen, und den Istanbuler Himmel, an dem unzählige Vögel fliegen, mit der Tiefe des Meeres vergleichen: Wenn man auf dem Meeresgrund stehen und sich die Millionen unterschiedlicher Fische anschauen könnte, würde man die Farben der Fische und ihre unterschiedlichen Rhythmen sehen wie in einem Kaleidoskop. Die Millionen Menschen laufen nicht, sondern sie rennen über die steilen Pflasterstraßen. Die Straßen sind nicht für Autos, sie sind für Menschen, Esel und Pferde gemacht. Deswegen verständigen sich die Autos und die Menschen.

Kommt ein Auto gefahren, dann hebt man seine Hand, und es bleibt stehen. Wenn es regnet, rennt auch der Regen, wie die Menschen, über die steilen Straßen. Und der Regen wohnt in den Istanbuler Schuhen wie das Meer in den Istanbuler Betten. Alle Schuhe in Istanbul, auch die Schuhe der reichen Männer, sind schmutzig und alt. Die Schuhputzer schauen nicht Richtung Himmel, sondern auf die tausende von Schuhen, die an ihnen vorbeilaufen. "Polieren wir, Brüderchen, polieren wir, Schwesterchen." Die Menschen, die Hunde, die Katzen, die Möwen, alle sind nass, alle rennen irgendwo hin, und jeder Mensch in Istanbul, der hier lebt, wird mindestens einmal über die Brücke vom Goldenen Horn laufen.

Es ist eine niedrige Brücke, die die beiden europäischen Teile verbindet. So niedrig, dass niemand auf die Idee kommt, sich hinunter zu stürzen, so wie von den beiden großen Brücken, die Asien und Europa verbinden. Sultan Abdülmecid, ein Reformist, hatte 1845 diese kleine Brücke eingeweiht, für die schon Leonardo da Vinci 1503 und Michelangelo 1504 dem damaligen Sultan Beyazit II. ihre Vorschläge unterbreitet hatten. Aber Beyazit ließ die Brücke nicht bauen - sie hätte die Nicht-Muslime, die auf dem einen europäischen Teil lebten, und die Muslime, die auf dem anderen europäischen Teil lebten, zusammengebracht. Vor ungefähr hundert Jahren beschrieb Mrs. Max Müller, eine Reisende aus Europa, ihre Eindrücke so: "Auf der Brücke herrschte ein babylonisches Sprachgewirr. Juden, Mongolen, Afrikaner, Griechen, Armenier, Albaner, Russen, Tscherkessen, Türken, Inder, Italiener, Kamele, Pferde, Esel, Hunde und Katzen laufen darüber." Das ist heute noch genauso.

Die vielen Schiffe neben der Brücke leuchten in der Sonne, die langen Schatten der Menschen, die über diese Brücke laufen, fallen von beiden Seiten der Brücke auf die Schiffe herab und laufen auf deren weißen Körpern entlang. Hinter dem letzten Schiff fallen die Schatten der Menschen ins Meer und laufen dort weiter. Die Möwen schreien oben, und die Schatten ihrer Flügel fallen auch ins Meer und fliegen dort zwischen den Schatten der Menschen.

Manchmal kam es mir so vor, als würden die Möwen über alles, was in dieser Stadt passiert, lachen. Sie sehen Millionen Menschen, Millionen Türen, Millionen Schuhe. "Wer sind all diese Frauen und Männer, die unter der Sonne, im Schnee, im Regen und unterm Mond laufen? Wessen Esel ist das, der die steile Gasse hinunter läuft? Wie viel Kleingeld klappert in den Millionen Taschen? Wie viele Milliarden Brote werden täglich nach Hause getragen? Das Meer, die Bauern, Verrückte, Juden, Armenier, Griechen, Türken, Menschen aus allen Welten - wie viele Millionen Schatten laufen zwischen den Schatten der Bäume, wie viele Millionen Wörter werden jeden Tag in Istanbul gesprochen? So denken die Möwen vielleicht und lachen.

Auf dieser Brücke kann man die untergehende Sonne und zur gleichen Zeit den aufgehenden Mond sehen. Der Mond steht am Istanbuler Himmel, als wohne er nur hier, sei verliebt nur in Istanbul, und nur poliert für diese Stadt. Der Mond ist manchmal so nah, dass man ihn anfassen kann. Jeder hat in Istanbul ein bisschen Mond in seinen Händen, und der Istanbuler hat in seinen Augen viele Jahrhunderte. Rom, Byzanz, Osmanisches Reich - all diese Epochen. Mal im hellen Licht, mal im Sturm, mal in der Stille, mal im Lärm.

Istanbul ist eine große Liebesgeschichte. Manchmal hasst man die Stadt, dann begehrt man sie wieder. Man verliert sich in Istanbul, tausend Filme laufen übereinander. In manchen Vierteln kann man jahrelang leben, ohne sie zu verlassen. Man kann in Mailand leben, man kann in New York leben, man kann in Byzanz leben. Und die kleinen farbigen Steine an den Ufern, über die sich die Fische hin- und herwerfen, wohnen in den byzantinischen Kirchenmosaiken. Und der Istanbuler Mond leuchtet in der Nacht in das Gesicht von Jesus Christus in der Hagia Sophia und über den Flügeln der Möwen.

Quelle


schön!  :)
Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen, und dass man sich durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lässt.

Im Leben geht es nicht darum zu warten, bis das Unwetter vorbei zieht, sondern zu lernen im Regen zu tanzen!


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