Einem Artikel der türkischen Tageszeitung Vatan zufolge schafft Deutschland die Visumspflicht für Türken ab. Dabei beruft sich die Zeitung auf Dr. Klaus Dienelt, der seit 1993 Richter am Verwaltungsgericht Darmstadt und zurzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesverwaltungsgerichts ist. Dr. Klaus Dienelt ist zugleich auch Herausgeber des Fachportals migrationsrecht.net mit Informationen zum Ausländerrecht. Ein kompetenter und erfahrener Jurist also, dessen Aussage Gewicht hat.
Entsprechend sind die Reaktionen in der Türkei: Viele Tageszeitungen, darunter auch Hürriyet, Milliyet, Zaman, um nur einige zu nennen sowie hunderte große wie kleine türkische Nachrichtenportale sprangen auf die Meldung auf und verbreiteten die Sensation. Selbst angesehene Kolumnisten beschäftigten sich mit der Thematik.
Zurückzuführen ist die ganze Diskussion auf die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20. September 2007 in der Rechtssache C-16/05 (Tum und Dari). Darin wurde eine weitere wichtige Grundsatzentscheidung (Stichwort: Stillhalte- oder Stillstandklausel) zum Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger getroffen: Das Zusatzprotokoll, das nach seinem Art. 62 Bestandteil des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und der Türkei ist, enthält einen Titel II ("Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr"), dessen Kapitel I "Arbeitskräfte" und dessen Kapitel II "Niederlassungsrecht, Dienstleistungen und Verkehr" betrifft. Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls lautet:
Die Vorschrift des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls führt dazu, dass für die Beurteilung der Einhaltung der Einreisebestimmungen durch türkische Staatsangehörige die Rechtslage des Ausländergesetzes im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls, d.h. am 01.01.1973, zugrunde zu legen ist, sofern diese günstiger ist.
Da damit aber nicht zwangsläufig die Abschaffung der Visumspflicht für die Bundesrepublik Deutschland - insbesondere für Einreisewillige aus der Türkei - verbunden ist und auch keinerlei Anzeichen für einen solchen Schritt seitens der Bundesregierung bekannt geworden ist, war eine Rückfrage bei Dr. Klaus Dienelt erforderlich, der gerne bereit war, ein Statement abzugeben.
Für Dr. Klaus Dienelt ist die Meldung "falsch†und "lächerlichâ€. Weder habe er so was gesagt, noch gemeint. Für die Bundesrepublik Deutschland bestehe zurzeit auch keine Veranlassung, irgendetwas in dieser Richtung zu unternehmen. Viele juristische Einzelfragen seien noch klärungsbedürftig und würden auf weitere Entscheidungen deutscher Gerichte und die des EuGH warten. Insofern habe er lediglich seine juristische Meinung zur Entscheidung mitgeteilt.
Dabei habe er hervorgehoben, dass seine Ansicht, Dienstleistungserbringer und -empfänger (Geschäftsleute, Sportler, Musiker, Wissenschaftler) könnten visumsfrei nach Deutschland einreisen, nicht vom Auswärtigen Amts geteilt werde. Aber auch die eigene Auffassung biete keinen Raum für die Spekulationen, Deutschland würde die Visumspflicht umfassend zum Jahresende aufheben. Leider habe er keinen Einfluss auf die Synchronübersetzung gehabt und wisse auch nicht, was übersetzt worden sei.
Angesprochen auf die Bezeichnung seiner Person, er sei Vorsitzender des Bundesverwaltungsgerichts, sagte Dr. Klaus Dienelt, dass ihm das "höchst unangenehm†sei: "Ich bin Richter am Verwaltungsgericht. Nicht mehr und nicht wenigerâ€. Was ihm auch Leid tue, sei die Erwartungshaltung, die bei Einreisewilligen geweckt werde.
In der Tat! Nicht selten kommt es in den türkischen Medien vor, dass Halbwahrheiten als Tatsachen oder Fakten verbreitet werden. Leider kommt es auch vor, dass komplexe Sachverhalte von juristischen Laien interpretiert und falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Das war beispielsweise bei der Berichterstattung über die Problematik der doppelten Staatsbürgerschaft der türkischstämmigen in Deutschland nicht selten der Fall.
Mit Falschmeldung werden aber Erwartungen hunderter und tausender Betroffener geweckt, bei der am Ende das böse Erwachen kommt und die Enttäuschung umso größer ist. Im Kampf mit anderen Blättern um größere Auflagenzahlen kommt der Leser, derentwegen eine Meldung ja im Grunde geschrieben wird, oftmals leider zu kurz.
So schmackhaft und verlockend eine Sensationsmeldung auch im ersten Augenblick sein mag, sollte der gesunde Menschenverstand stets die Überhand gewinnen und die Gier im Keime ersticken. Insbesondere wenn die Meldung, über die man schreibt, so unglaubwürdig klingt wie die hier thematisierte, sollte einem Journalisten zugemutet werden können, sich Gewissheit über den Wahrheitsgehalt zu verschaffen, zumal die Wahrheit nur einen Anruf entfernt liegt.
Auf diesem Niveau stellt jedes verkaufte Exemplar einer Tageszeitung Betrug am Leser dar, der nicht nur sein schwer verdientes Geld los wird, dafür auch noch falsch informiert wird.
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