Die vierte Revolution der türkischen Rauchkultur
Von Boris Kalnoky 20. Juli 2009, 04:00 Uhr
Premier Erdogan schränkt Tabakgenuss drastisch ein - Das versuchte schon ein Sultan im 17. Jahrhundert - und scheiterteIstanbul - Aromatische Rauchschwaden liegen über den Nargile-Lokalen im Istanbuler Stadtteil Tophane. Wie jeden Sommerabend ist jedes der bunt geschmückten Cafés voll, und an jedem Tisch steht die beliebte Nargile - die Wasserpfeife. Es wird munter geplaudert, gelacht, es sind vor allem Gruppen junger Paare, die den Abend bei einer Lunge voll Apfelduft genießen. Sie verkörpern eine Lebensstil-Revolution, die seit gut einem Jahrzehnt die türkische Jugend zunehmend begeistert - zurück zu den Genüssen der alten Osmanen. Es ist die dritte Revolution der türkischen Rauchkultur, und in zehn Minuten wird die vierte beginnen: Es ist zehn Minuten vor Mitternacht. Ringsum haben sich die Übertragungswagen der Fernsehsender in Position gebracht, es wimmelt von Fotografen und Kameraleuten inmitten der Raucher.
Die erste Revolution war der Siegeszug der Nargile im 17. Jahrhundert. Aus Persien war die Wasserpfeife gekommen, ursprünglich tat man das Wasser in eine Kokosnuss (persisch: Nargil). Die zweite Revolution kam mit Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei. Alles, was osmanisch war, galt nun als veraltet, unmodern. Atatürk rauchte Zigaretten. Die (jüngeren) Türken fortan auch. Mit der politischen Renaissance des von Atatürk kastrierten Islam ab Ende der 90er-Jahre begann auch eine Wiedergeburt osmanischer Symbole, unter anderem der Wasserpfeife.
Damit soll nun Schluss sein, und das ist es, worauf die Kameras warten: Seit Sonntag um Mitternacht gilt ein absolutes Rauchverbot in allen Lokalen, Restaurants, Bars, in allen geschlossenen Räumen, wo Menschen zusammenkommen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, Wegbereiter der islamischen Renaissance, will es offenbar Sultan Murad IV. nachmachen, der im 17. Jahrhundert, als die Nargile ihren ersten Siegeszug antrat, das gemütliche Rauchen unter Todesstrafe stellte. Rauchen ist schlimm, sagt auch Erdogan, "schlimmer als Terrorismus".
Zwölf Uhr. Nichts ändert sich. Lässig-gemütlich ziehen die Türken an den Mundstücken, beäugen amüsiert die hektischen Reporter. Auch Murad war es damals nicht gelungen zu unterdrücken, was Spaß macht. Es ist Sommer, alle sitzen draußen, und manche Cafébesitzer haben sogar die Bedachungen ihrer Lokale entfernt. Wenn sich hier etwas ändert an der Rauchkultur, dann im Winter. Bis dahin wollen die Besitzer der Lokale protestieren, damit für sie eine Ausnahme gemacht wird. Bülent Akarcali, ein früherer Vizegesundheitsminister, will dagegen den 19. Juli zum Nationalfeiertag erklären: "Seit 22 Jahren hat die amerikanische Zigarettenlobby jeden Versuch der Türkei gestoppt, ein Rauchverbot einzuführen - jetzt ist es endlich gelungen."
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