Von Agata Skowronek (Fotos) und Karen Krüger (Text)
Der schönste Moment ist, wenn das Schiff gerade abgelegt hat und sich Meter um Meter von der Anlegestelle entfernt. Es ist der Augenblick, in dem die Vorfreude, dass es einen für wenige Minuten von der lärmenden Unruhe Istanbuls forttragen wird, obwohl man mitten in der Stadt bleibt, sich zur Gewissheit wandelt. Der Dampfer tutet, aus dem Schornstein quillt schwarzer Rauch, das Bosporuswasser wird zum brodelnden weißen Ungeheuer. Immer ist da jemand, der noch schnell mit einem waghalsigen großen Schritt auf das ablegende Schiff springt. Und immer gibt es einen Passagier, der es sich nicht nehmen lässt, deshalb empört mit der Zunge zu schnalzen.
Mindestens genauso schön aber ist der Moment, in dem der Dampfer Fahrt aufnimmt. Dann erfasst der meerfeuchte Wind das Haar, steigt einem der Duft von Salz und Algen in die Nase und schrumpfen die Häuser und Paläste Istanbuls zur Spielzeugkulisse. Die Sonne spiegelt sich in den Fenstern der Gebäude - links die Blaue Moschee, rechts der Galata-Turm. Wie kleine Bauklötzchen klimmen die Häuser an den Hügeln der Stadt hinauf und wachsen rund um den Taksim Platz zu Hochäusern. Die Dampfer durchpflügen das Wasser des Bosporus, manövrieren sich geschickt an den schwerfälligen Tankschiffen vorbei. Vom Schwarzen Meer aus fahren die Kolosse zum Marmarameer und umgekehrt. Jungen balancieren Tabletts mit dampfendem schwarzen Tee über den Köpfen der Passagiere. "Cay ister var mi?" Möchte jemand Tee? Andere preisen laut schreiend frischen Ayran, das salzige türkische Joghurtgetränk, oder Simit, knusprig gebackene Sesamkringel, an. Man frühstückt auf dem Schiff, nimmt einen kleinen Mittagsimbiss oder stillt abends nach der Arbeit den ersten Hunger, bevor es nach Hause oder in eines der kleinen Lokale am Bosporus geht. Möwen folgen dem Schiff. Sie schrauben sich schreiend in die Höhe, stürzen sich in der Luft auf die kleinen Brocken Simit, die ihnen die Fahrgäste von der Reling aus zuwerfen. Nie fehlt ein Passagier, der einem dabei zusieht, den Kopf schüttelt und sagt: Die Möwen von der asiatischen Seite sind einfach viel geschickter als die von der europäischen.
Liebespaare auf dem Dampfer
Der schönste Ort, an dem man auf dem Schiff sitzen kann, sind die Bänke, die sich rund um das Schiff entlang der Reling ziehen. Das Wasser ist einem dort so nah, dass man die Gischt im Gesicht spürt, wenn sich eine Welle bricht. Andere Dampfer kreuzen. Die Schiffe tragen die Namen türkischer Rocksänger und von Orten, die sich wie die Perlen einer Kette am Bosporus reihen. Manchmal kommen die Dampfer sich so nah, dass man die Gesichter der Menschen darauf erkennen kann. Mindestens einer der Vorüberfahrenden wird den Arm heben und winken.
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