Nach 16 Jahren wurde das Baugerüst in der Hagia Sophia entfernt. Jetzt ist wieder Unglaubliches zu entdecken.
Ja, so hatte Justinian sich das gedacht. Eine aufregend weite Halle, fast 80 Meter lang und 70 Meter breit, die der Kaiser 527 nach Christus auf dem Pferde durchritt, ehe er vor dem Altar niederkniete und rief: »Ruhm und Ehre dem Allerhöchsten, der mich für würdig hielt, dieses Werk zu vollenden. Salomo, ich habe Dich übertroffen!«
Wenn man heute in der vom Gerüst befreiten Hagia Sophia steht, nickt man nur stumm. Nach 16 Jahren wurde das gigantische Eisenstützwerk zur Restaurierung des Hauptschiffes weggeräumt. Endlich Freiheit. Eine Qual waren die Besuche in diesen Jahren. Man konnte nur ahnen, wie großartig diese Kirche einmal gewesen sein musste. Nun liegt das Herrlichste wieder offen. Die Kuppel! Ein Jahrtausendwerk aus Gold und 40 Fenstern. Vier Mal stürzte sie bei Erdbeben ein - noch zu griechisch-byzantinischer Zeit. Dann fanden die Baumeister die richtige Krümmung, seither schwebt sie auf nur vier Pfeilern in schwindelnder Höhe von knapp 60 Metern.
Die Kuppel krönte über ein Jahrtausend lang den größten Raum der Christenheit. Danach kam die Kathedrale von Sevilla, errichtet auf den Ruinen einer Moschee, dann der Petersdom. Doch gegen die erhabene Weite der Hagia Sophia wirken die katholischen Gotteshäuser eigenartig eng und zugestellt. Das hat, geben wir es zu, auch damit zu tun, dass die Türken schon 1453 bei der Eroberung Konstantinopels allen entbehrlichen Sakralfirlefanz herausgeschafft hatten. Dann machten sie eine Moschee daraus. Unter Atatürk wurde die Hagia Sophia ein Museum. Heute blickt man gleich beim Betreten des Saales durch die sich brechenden Sonnenstrahlen quer hinüber bis zur Apsis. Über drei reich verzierten Fensteretagen thront hoch oben die Panagia, die Mutter Maria mit dem Jesuskind, in Gold, Aquamarin und Rubinrot. Die Griechen, wäre es noch ihre Kirche, hätten uns da sicher eine Ikonostase, eine Holzwand mit Heiligenbildern, vor die Nase gestellt.
Dennoch ist dieses ein ganz und gar byzantinischer Bau, daran ändert auch die Umklammerung durch vier Minarette an den Außenfronten nichts. Wenige Meter neben der Mutter Maria in luftigen Höhen wurde die griechische Kaiserin Zoe in filigranen Goldmosaiken verewigt. Zoe wirkt in der Darstellung edel und heilig, dabei war sie ein recht wilder Feger. Verheiratet mit einem gebrechlichen alten Senator, machte sie sich einen Ruf durch zahlreiche Affären. Einer der Liebhaber soll auf ihr Geheiß den Ehemann ertränkt haben. Sie heiratete den gedungenen Mörder und ließ ihn zum Kaiser ausrufen. Das ging nicht lange gut. Sie regierte dann selbst ein Weilchen mit ihrer Schwester, bis ihr dritter Gatte nach zahlreichen Kabalen - vor allem gegen den zweiten Ehemann - die Herrschaft übernahm. So war das in Byzanz um das Jahr 1000 herum.
Heute bewundert man den Intrigantenstadl im christlich-goldenen Heiligengewand auf der Kaisergalerie rechts von der Apsis. Da sind die Imperatoren neben Maria und Jesus zu sehen. Gelegentlich kommt eine türkische Restauratorin vorbei und wischt mit einem Tuch zärtlich über ihr Antlitz. Im Kirchenschiff ziehen Putzfrauen ihre Mopps über 7000 Quadratmeter weißen Marmorboden. Dieser war jahrhundertelang durch die Teppiche geschützt, die zu einer richtigen Moschee gehören.
Die Hagia Sophia erzählt nicht vom Ruhm der Osmanen, sondern vom Glanz des byzantinischen Reiches. Die Griechen und die Christenheit haben seither keine erhabenere Kirche gebaut. Dass sie heute noch zu erleben ist, verdanken wir den Türken.
Quelle