Einsamkeit zwischen bizarren Gesteinsformationen: Im türkischen Kappadokien können sich Wanderer noch wie echte Entdecker fühlen. Die Gefahr, sich zwischen steinernen Pyramiden und Riesen-Phalli zu verlaufen, ist trotzdem gering.
Göreme - Ahmed hat 19 Jahre lang in Witten im Ruhrgebiet gelebt. Nun sitzt er in einer Höhle in Kappadokien, dem schroffen Herzen Anatoliens, und wartet auf Touristen. Es kommen nicht viele hierher, dabei liegt das Rosental nur ein paar Kilometer von Göreme entfernt, dem Touristenzentrum der Region in der Türkei.
Aber die Reisebusse halten meist nur an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten wie dem Freilichtmuseum mit den vielen Felsenkirchen. "Komm' mit, eine Kirche kannst du hier auch sehen, für 3 statt 15 Lira", sagt Ahmed und schließt die Pforte zur Ayvali Kilise auf, der Johanneskirche. In der kleinen Doppelkapelle ist es dunkel und vollkommen still.
Im Lichtkegel der Taschenlampe scheinen Fresken mit biblischen Szenen auf, sie sind überraschend gut erhalten. Mit ein wenig Phantasie kann sich der Reisende in die Zeit zurückträumen, als sich die frühen Christen, verfolgt von den Römern, heimlich in Kappadokiens Höhlenkirchen zum gemeinsamen Beten versammelten.
Mittelanatolien als Geheimtipp
Es ist nicht schwer, sich in Kappadokien wie ein Entdecker zu fühlen. Sicher, die Gegend ist längst eine der großen Touristenattraktionen der Türkei und fester Programmpunkt vieler Rundreisen. Aber im Vergleich zur Mittelmeerküste geht es hier noch geruhsam zu. Laut der türkischen Botschaft in Berlin kamen 2008 nur knapp zwei Prozent aller Türkei-Urlauber nach Mittelanatolien. Die meisten von ihnen würden für ein paar Tage von der türkischen Riviera mit Reisebussen hochgekarrt, sagt Michael Wadenpohl, Autor eines Kappadokien-Reiseführers. Sie gehen 30 Minuten zum Aussichtspunkt, knipsen ein paar Fotos und kehren zum Bus zurück.
Deshalb genügt es, ein wenig von den Touristenzentren wegzugehen und in eines der Täler rings um Göreme hinabzusteigen. Schon ist man mit etwas Glück allein mit den faszinierenden Schöpfungen der Naturgewalten. "Katpatuka" nannten die Perser die Region, "Land der schönen Pferde". Land der schönen Steine hätte auch gepasst: Von den Kanten der Hochplateaus fließen rosa und weiße Felsen wie erkalteter Zuckerguss ins Tal. Steinerne Pyramiden und Riesenphalli verzieren das ausgedörrte Land.
Sie sind Zeugnisse der Naturgewalten, die sich in Kappadokien seit 65 Millionen Jahren austoben. Damals begannen die Vulkane, Lava und Asche zu speien, die sich mehrere hundert Meter dick auf das Land legte, wie Volker Höhfeld vom Geographischen Institut der Universität Tübingen erklärt. Von der heißen Vergangenheit künden noch heute Vulkane wie der Erciyas Dagi, dessen schneebedeckter Gipfel auf 3917 Metern das zentralanatolische Hochland überragt.
Regen und Flüsse wuschen Felsnadeln aus dem porösen Tuffstein heraus. "Peri Bacalar" nennen die Türken sie, "Feenkamine". Viele sehen aus wie hundertfach vergrößerte Termitenhaufen, übersät mit Höhleneingängen. In einige kann der Wanderer hineinklettern - und findet mit etwas Glück eine in den Fels gehauene Kathedrale, ohne Fresken, dafür mit umso mehr Atmosphäre.
Einsamkeit in der Mondlandschaft
In manchen Tälern drängen sich die "Feenkamine" wie auf einem Nadelkissen, aber es gibt auch grüne Täler voller Büsche und Bäume sowie tief eingeschnittene, kühle Canyons. Die in alle Richtungen ausufernde Mondlandschaft zieht bisher aber erst wenige Wanderer an. "Sie können stundenlang durch ein Tal wandern und begegnen nur ein paar Menschen", sagt Wadenpohl.
Tatsächlich ist im Rosental seit einer Stunde niemand zu sehen, was auch der sengenden Sommersonne geschuldet sein mag. Der Wandertourismus beginnt hier gerade erst, es gibt noch nicht einmal eine richtige Wanderkarte und nur vereinzelt englischsprachige Schilder. Gefährlich sei das Wandern in Kappadokien aber kaum, sagt Wadenpohl - selbst wenn man sich verläuft: "Sie treffen immer bald wieder auf eine Straße. Dort halten Sie einfach den Daumen raus."
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