Sie kommt beängstigend nahe, die Felswand, die im Morgenlicht samtig orange schimmert. Von weitem hatte sie nicht ansatzweise so imposant ausgesehen wie nun, wenige Meter entfernt, aus dem schwankenden Heißluftballon-Korb. Die Obstbäume unter uns streifen mit den Ästen den Korb. "Wir sollten wirklich langsam an Höhe gewinnen", spricht einer aus, was alle denken. Ballonführer Ömer blickt unbeeindruckt in den strahlend blauen Himmel - es wird ein sonniger und heißer Tag in Kappadokien werden, das lässt sich schon kurz nach Sonnenaufgang sagen.
Plötzlich lehnt Ömer sich seitlich aus dem Korb, reckt sich - ratlose Blicke verfolgen seine Bemühungen. Die Felswand kommt näher. Mit strahlendem Gesicht taucht er wieder auf, verschenkt einen kleinen Apfel, den er von einem der Bäume gepflückt hat und wendet sich - endlich - dem Brenner zu. Die Hitze lässt den Ballon schnell steigen und mit gerade ausreichendem Abstand überquert er einen der berühmten Tuffsteinfelsen, die die türkische Region Kappadokien bekannt gemacht haben. Die Show ist geglückt. Das Aufatmen spürend, amüsiert sich der erfahrene Ballon-Kapitän.
Der Blick über die eindrucksvolle, bizarre Felslandschaft lässt den Schrecken schnell vergessen: Imposante Felsen, kleine Dörfer, Felder und dazwischen einzelne Gesteinsspitzen, die so genannten "Feen-Kamine" - die zentralanatolische Region rund um die Städte Kayseri, Göreme und Ürgüp verzaubert jeden schnell.
Zwischen den pilzförmigen Felsen hacken zwei Frauen den trockenen Feldboden. Zwar kommen immer mehr Wanderer, Naturliebhaber und Abenteurer in die Region, doch so richtig viel hat sich mit dem Tourismus nicht verändert. Noch immer leben die meisten Menschen hier von der Landwirtschaft. Kichererbsen und Kartoffeln, Äpfel, Zitrusfrüchte und Trauben werden auf dem fruchtbaren Vulkanboden angebaut - "Kappadokien ist im ganzen Land für seinen Wein bekannt", sagt Reiseleiter Tanju Baturlar.
Für die einzigartige Landschaft sind Vulkanausbrüche vor rund zehn Millionen Jahren verantwortlich, die die Ebenen, Flüsse und Seen mit einer dicken, weichen Gesteinsschicht überzogen haben.
Durch den Wind und die wieder durchbrechenden Gewässer bildete sich das unverwechselbare Landschaftsbild Kappadokiens heraus. Das vulkanische Gestein lässt die Landschaft in verschiedenen Farbtönen - von Rot über Ocker bis ins Grau-Weiße - schimmern.
Ömer weiß um die Wirkung der Aussicht, wenn hinter den Bergspitzen die Sonne hervorblinzelt und die Täler in ein romantisches Licht taucht. Nur hin und wieder weist er auf besondere Sehenswürdigkeiten hin - so auch auf Göreme. Im Göreme-Tal, das im Dreieck Nevsehir-Ürgüp-Avanos liegt, waren einst 365 Höhlenkirchen zu finden. Einige der Kirchen, Klöster und Kapellen, die vor Jahrhunderten in den Felswänden und freistehenden Tuffkegeln angelegt wurden, sind heute in einem Freilichtmuseum zu sehen. Wegen ihrer einzigartigen Architektur mit Wand- und Deckenmalerei wurde das Göreme-Tal auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes gesetzt.
Über Jahrhunderte haben die Menschen in Kappadokien Höhlen im Tuffstein als Wohnungen genutzt - heute dienen die im Sommer kühlen Räume den Einheimischen als Vorratskammern. Für Touristen wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Höhlen aus- oder nachgebaut und in Hotelanlagen und Pensionen integriert.
Etwas entfernt ist der mächtige Burgfelsen Uchisar zu sehen. Von seiner Spitze aus bietet sich ein ähnlich guter Blick über die Täler wie aus dem Ballon. Die vielen kleinen Löcher im Berg, die aussehen wie kleine Fenster, verwundern. "Taubenschläge", erklärt Tanju Baturlar. Sie sind typisch für die Region und mit meist traditionellen geometrischen Figuren verziert.
Ganze Städte bauten die Menschen in Kappadokien früher in die weichen Felsen - eine der eindrucksvollsten ist Kaymakli, deren Tunnelsystem über mehrere Stockwerke verläuft. In den unterirdischen Siedlungen sollen einst Tausende Menschen gelebt haben.
Ein kräftiges Ruckeln beendet alle abschweifenden Gedanken. Der Ballon ist sicher gelandet, die traditionelle Ballonfahrertaufe mit Sekt folgt sogleich. Auf dem Rückweg im Touristen-Bus kreuzt ein alter Mann die Straße. Mit einem Stock treibt er seinen schwer bepackten Esel an, vom Bus nimmt er keine Notiz. Das Leben geht hier seinen Gang - und es wirkt keinesfalls so, als hätte man allein auf den Tourismus gewartet.
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