Airlines stellen Flugverbot in Frage
Deutsche Fluggesellschaften zweifeln am Sinn des Flugverbots über Europa. Die Lufthansa verweist auf problemlose Testflüge, Air-Berlin kritisiert, dass bisher keine verlässlichen Daten über die Aschewolke vorlägen. Doch die Flugsicherung hat die Sperrung des Luftraums verlängert.
Berlin - Die zwei größten deutschen Fluggesellschaften haben das nach dem isländischen Vulkanausbruch erlassene großräumige Flugverbot in Frage gestellt. Joachim Hunold, Chef von Air Berlin, der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft, sagte der "Bild am Sonntag": "Die Schließung des Luftraums erfolgte ausschließlich aufgrund der Daten einer Computersimulation beim Vulcanic Ash Advisory Centre in London".
Aufgrund dieser Daten errechnet der Deutsche Wetterdienst kontaminierte, also mit Vulkanasche belastete Gebiete. Mit diesen Daten wiederum entscheidet die Deutsche Flugsicherung DFS über ein Flugverbot oder deren Aufhebung. Hunold sagte: "Es ist in Deutschland noch nicht mal ein Wetterballon aufgestiegen, um zu messen, ob und wie viel Vulkanasche sich in der Luft befindet."
Die Lufthansa verwies auf zehn Überführungsflüge, bei denen Großraumjets der Typen Boeing 747 und Airbus 340 von München nach Frankfurt gebracht wurden. "Dabei sind unsere Maschinen bis auf 24.000 Fuß, also rund 8000 Meter Höhe, gestiegen", sagte Konzernsprecher Klaus Walther. "In Frankfurt wurden die Maschinen von unseren Technikern untersucht. Weder auf den Cockpitscheiben, an der Außenhaut noch an den Triebwerken fanden sie auch nur den kleinsten Kratzer."
Walther sagte: "Durch das Flugverbot, das ausschließlich auf Computerberechnungen beruht, entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe. Darum fordern wir für die Zukunft, dass vor einem Flugverbot verlässliche Messungen vorliegen müssen."
Auch die niederländische Fluggesellschaft KLM konnte während und nach einem Flug auf bis zu 13.000 Metern Höhe nichts Ungewöhnliches ausmachen. Falls weitere Untersuchungen dieses Ergebnis bestätigen, will KLM am Sonntag sieben Flugzeuge von Düsseldorf nach Amsterdam überführen. Ein Sprecher der niederländischen Regierung erklärte, die Testflüge seien auf Anfrage der Europäischen Union durchgeführt worden. Auch in Frankreich und Belgien fanden demnach Testflüge statt. Damit solle festgestellt werden, ob die Beschränkungen im Flugverkehr wegen der Vulkanaschewolke gelockert werden können.
Die "Bild am Sonntag" berichte, ein Forschungsflugzeug des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) sei bislang nicht einsatzbereit gewesen, da die entsprechenden Messgeräte für Vulkanasche erst eingebaut werden müssen. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kündigte an, am Montagabend ein Flugzeug mit Wissenschaftlern des Instituts für Atmosphärenphysik in Oberpfaffenhofen starten zu lassen.
Auch Messungen am Boden könnten bislang nicht flächendeckend stattfinden, hieß es. Von den sechs Lasermessgeräten des deutschen Wetterdienstes ist zurzeit nur eins in München einsatzbereit, fünf andere Geräte, unter anderem in Hamburg, Berlin und Essen, befinden sich zeitgleich in Wartung.
Sperrung bis Sonntagabend um 20 Uhr
Trotz der Kritik verlängerte die DFS die Sperrung des Luftraums über Deutschland wegen der Aschewolke bis Sonntag 20 Uhr. Das teilte eine Sprecherin am Sonntagmorgen mit. Über das weitere Vorgehen soll im Laufe des Tages entschieden werden. Die Lufthansa hatte bereits zuvor erklärt, sie streiche sämtliche Flüge bis Sonntag 20 Uhr. Der Konzern bat die betroffenen Passagiere am frühen Sonntagmorgen, nicht zum Flughafen anzureisen.
Ein Ende des Ausnahmezustands ist derzeit nicht in Sicht. Aufgrund der stabilen Wetterlage verändert die Aschewolke ihre Position kaum. In weiten Teilen Frankreichs oder auch in Norditalien wurden Airports bereits bis Montag geschlossen.
Das Naturereignis dirigiert auch Abläufe in Politik und Wirtschaft. An diesem Sonntag können viele Staatsgäste, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht zur Trauerfeier für Polens Präsident Lech Kaczynski und seine Frau Maria nach Krakau kommen. Deutschland wird in Krakau nun von Bundespräsident Horst Köhler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vertreten.
Millionen Menschen können in den kommenden Tagen Geschäfts- und Urlaubsreisen abschreiben. Die Deutsche Bahn setzt am Sonntag erneut zusätzliche Züge ein. "Wir stehen sozusagen Gewehr bei Fuß", sagte ein Konzernsprecher am Samstagabend. Die französische Bahn kündigte an, am Sonntag 8500 zusätzliche Plätze von Paris bereitzustellen, davon 6100 für den Eurostar nach London und 400 für den TGV nach Frankfurt am Main.
Angehörige der vier in Afghanistan getöteten Soldaten müssen weiter darauf warten, dass die Särge nach Deutschland kommen. Die Maschine mit zwei schwerverletzten Soldaten musste in der Türkei zwischenlanden. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der die Männer begleitete, sagte: "Sie sind hier, so ist mir gesagt worden, in besten Händen."
Meteorologen und Vulkanologen in Reykjavik erklärten am Samstag übereinstimmend, dass der Vulkan unter dem Gletscher Eyjafjallajökull weiter riesige Mengen Dampf und Asche in die Atmosphäre stößt und Änderungen nicht in Sicht sind. Das werde "sicher noch Tage, vielleicht aber auch Wochen oder Monate so weitergehen".
Die Aschewolke wirbelte am Samstag in zwei Ausläufern über dem Kontinent. Im europäischen Luftraum gab es nur geschätzte 5000 der üblichen rund 22.000 Flüge, wie die für 38 Länder zuständige Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol in Brüssel mitteilte. Jeder Tag dieser Art kostet die Branche laut Flugverband IATA etwa 150 Millionen Euro.
Quelle: spiegel online