Im Urlaub gestrandet
Es geht ein Flug nach Nirgendwo
Erstellt 19.04.10, 19:24h
In der Kunstwelt eines Luxusresorts verschieben sich die Dimensionen von Nachrichten, zumal, wenn man Betroffener ist. Das erfährt in diesen Tagen der Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeiger. Peter Pauls ist in Antalya an der türkischen Riviera gestrandet.
Schleichend hat die luxuriöse Ferienanlage sich verändert. Und je weiter die Aschewolke sich ausbreitet, umso mehr verändert sich auch diese heile Welt. Tayfun, einer der Fahrer, berichtet von dem britischen Chirurgen, der seit Tagen schon auf seinen Rückflug nach London wartet. Er ist ein gesuchter Spezialist. Zwei krebskranke Kinder haben allein am Montag auf seiner Operationsliste gestanden. Tayfun malt sich die Verzweiflung der Eltern aus. "Mir geht das ans Herz", sagt er.
Der Ascheregen lässt keinen kalt und er ist stummes Hauptthema des Ferienkomplexes. Nur die Kinder blenden ihn aus. Autofahrten nach Europa werden diskutiert. Über Rumänien? Oder besser über Albanien? Aber woher ein Auto bekommen? Das Hotelfoyer hat sich in eine Art Großraum-Büro verwandelt und liefert Bilder aus einer verkehrten Welt. Manager-Typen in Shorts und Sweatshirts hämmern mit finsterer Miene auf ihre Laptops ein, andere bearbeiten ihre iPhones und schreiben rasend schnell Texte mit dem Daumen auf die winzigen Displays.
Gerüchte und Nachrichten haben Hochkonjunktur und gefragt ist der, der beides voneinander unterscheiden kann. Tobias, ein junger Engländer, mit seinem hochgerüsteten iPhone ist ein ständiger Nachrichtenstrom. Er holt Filme auf das Display, in dem spielzeughaft kleine Flugzeuge unter der riesigen Vulkanwolke entlang fliegen und berichtet, bevor irgendein deutsches Medium davon erfährt, dass Großbritannien seine Marine aufbieten will, um seine Landsleute - 150.000 wohl an der Zahl - aus Spanien zu evakuieren.
Fernab von Wirklichkeit und in der Kunstwelt eines Luxusresorts verschieben sich auch die Dimensionen von Nachrichten, zumal, wenn man Betroffener ist. Das sorgenfreie Urlaubspaket passt nicht zu der Atmosphäre von Unsicherheit und Bedrohung, die in den vergangenen Tagen entstanden ist. So verschiebt sich die Realität zu einer Mischung aus "Täglich grüßt das Murmeltier" und einem Science-Fiction-Film, in dem die Dinge aus den Fugen geraten sind und die alten Gewissheiten nichts mehr gelten.
Wie blank geputzt ist der Flughafen von Antalya. Terminal 1 und 2, sonst voller Leben, liegen ausgestorben und wie ein gestrandeter Planet in der hektischen Mittelmeer-Metropole. Ein Fremdkörper. Noch nicht einmal Taxis warten. Die Flüge gehen nach nirgendwo. Nur ein einsamer Jet hat sich in brütendem Sonnenschein nach Kiew aufgemacht. Für Urlaub und Ferien fehlt das Wichtigste: die Illusion von Sorglosigkeit. Täglich Anruf bei der Fluglinie. Nein, kein Flieger in Sicht. Laufender Blick auf den Bildschirmtext. Abhängigkeit von den bürokratischen Taktzeiten der Flugsicherung. Täglich Anruf bei Ibrahim von der Autovermietung. Nach drei Tagen sagt er, man müsse sich nicht täglich melden. Täglich verlängern im Hotel und die israelische Rezeptionistin abpassen, die am freundlichsten und engagiertesten ist.
Ein Flug geht unter mysteriösen Umständen nach Marseille. Fahr bloß nicht mit, sagt eine Französin. Bei uns streiken die Eisenbahner. Du kommst aus Marseille nicht mehr weg. 40 Gäste verschwinden unter Umständen, als hätten sie den Fliegenden Holländer bestiegen. Ansonsten versiegt der ständige Mahlstrom von Ab- und Anreisen. Wir sind weniger geworden. Und da wir nicht mehr in der Sorglos-Welt leben, sprechen wir auch mehr miteinander. Es sind verschiedene Typen von Reisenden auszumachen. Da sind die Gleichmütigen. Sie haben ein Gesamtpaket gebucht und warten auf Erlösung durch ihren Reiseveranstalter. Sie sind am besten dran. Dann gibt es die Genießer. Franziska und Sol aus London etwa, ein junges Paar. Eigentlich müssten sie arbeiten und geben sich nun genießerisch den Büffet und dem Pool hin - Extrazeit. Und dann diejenigen, die ausbrechen wollen aus diesem eigentümlichen Luxusgefängnis, das so gar nicht zur Nachrichtenlage und der Wirklichkeit passt, die sich im Ferienresort breit gemacht hat.
Luc stemmt Gewichte und knurrt etwas von Abhängigkeit, die er beenden müsse. Per Mail, SMS und Anruf hat er sich eine vermeintliche Schneise in die wirkliche Welt seiner Heimat nach Brüssel geplant: per Taxi und Flugzeug in einen Seehafen, dort ein Containerschiff seiner Firma abpassen. Bereits nach zehn Tagen will Luc in Antwerpen sein. Von da aus nach Brüssel kommen? Ein Kinderspiel. Endlich habe ich einen Plan, lacht er. Endlich weiß Luc, wie er, wenn er Glück hat, wieder in die Wirklichkeit zurückfinden kann.
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