Melda Akbas war eine gute türkische Tochter und ein aufsässiger deutscher Teenager. Dann hatte sie einen Zusammenbruch. In dieser Woche erscheint ihr Buch, wie sie mit diesem Zwiespalt fertig wurde
Sie kleben da immer noch, an der Innenseite ihres Kleiderschranks, die Zettel mit den kleinen Aufmunterungen: "Hüpfe und genieße!", steht auf einem, "Weine nicht, es kann nur besser werden!" auf einem anderen oder "Vertraue dir selbst!".
Die Sprüche sollten ihr Mut machen in den vergangenen Monaten, jeden Morgen beim Anziehen.
Melda Akbas ist 19 Jahre alt, gerade hat sie ihre Abiturprüfungen hinter sich gebracht. Und ist dann zu ihrer ersten Lesereise aufgebrochen. In dieser Woche hat sie ihr Debüt veröffentlicht. Eine Sache, auf die sie sich freute, die sie aber genauso fürchtete. "Melda Akbas: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock."
Melda Akbas' erstes Buch hat schon vor dem Erscheinen für große Diskussionen gesorgt. Letzte Woche hat sie in München gelesen, am Montag tut sie es in Berlin. Cem Ödemir, der Bundesvorsitzende der Grünen, wird mit ihr über das Buch reden, in dem sie das Leben eines Mädchens schildert, das zwischen Moschee und Minirock zu verhandeln versucht. Das ist ein Thema, auf das die deutsche Öffentlichkeit brennt.
Aber Melda Akbas ist auch einfach nur ein Berliner Teenager. Ihre Heimat ist Schöneberg, ein Viertel im Südwesten der Hauptstadt, in dem es Tausende Cafés gibt, eine große Schwulenszene und viele türkische Familien. Hier ist Melda aufgewachsen und zur Schule gegangen, hier treffen wir uns zum Gespräch. Meldas Großeltern waren in den Sechzigerjahren als Gastarbeiter aus dem Nordosten der Türkei hierhergekommen. Obwohl sie den größten Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben, ist "Heimat" für sie nach wie vor die Türkei. Melda sagt, sie liebt das Land ihrer Großeltern, natürlich, aber sie kennt es nur aus dem Urlaub. Zu Hause fühle sie sich in Berlin. Sie zeigt uns ihren Kiez rund um den Nollendorfplatz. Sie sagt: "Ich bin Türkin, aber deutsche."
Über dieses Beidessein, über ihr Leben zwischen zwei Kulturen geht es. Das Buch liest sich stellenweise wie ein Tagebuch. Melda, ein zierliches Mädchen mit großen braunen Augen, erzählt aus ihrem Alltag, Partys und Mode sind darin wichtig, Hausaufgaben müssen sein, Jungs sind interessant. Sie schreibt über ihren ersten Kuss und den ständigen Streit mit ihren Eltern. Und immer schwingt Sehnsucht mit, nach Zugehörigkeit und Verständnis. Manchmal ist auch ihre Zerrissenheit zu spüren. Um Diskussionen aus dem Weg zu gehen, versteckt sie den Minirock in ihrer Tasche und zieht sich um, wenn der Vater das Outfit nicht mehr kontrollieren kann.
Zu Hause ist Melda so gut wie nie allein. Ihr Zimmer teilt sie sich mit ihrem fünf Jahre älteren Bruder Tayfun. Zu viert lebt Familie Akbas in einer 70-Quadratmeter-Altbauwohnung. Meldas Vater arbeitet in einem Restaurant, die Mutter, gelernte Erzieherin, als Bürohilfe. Die Familie ist im besten Sinne integriert. Zugleich ist es, gerade in Berlin-Schöneberg, einfach, sich ausschließlich innerhalb der türkischen Community zu bewegen. Meldas Großeltern sprechen bis heute nicht gut Deutsch. Wie viele Ältere. Und wie viele Jüngere will Melda mehr. Oder etwas anderes.
Lange versuchte sie, eine gute Tochter zu sein. Engagierte sich in allen möglichen Schülervertretungen, schrieb gute Noten. Und lebte eine Art Doppelleben. Sie schreibt, wie sie hin- und hergerissen war, "zwischen der Welt der Schule und meiner Freundinnen und der Welt meiner Familie. Ich wollte zu beiden gehören, in beiden leben, es beiden Seiten irgendwo recht machen. Aber das ging nur, wenn ich mich zu Hause verbog und das Bild von einer Tochter entwarf, wie ich glaubte, dass meine Eltern sie sich vorstellten." Irgendwann erlitt Melda einen Nervenzusammenbruch.
"Ich habe ihnen vieles verheimlicht, damit sie mich akzeptieren", sagt sie heute. Auch die Sache mit Batu. Melda war in den Jungen verliebt. Sie hielten Händchen und knutschten, beinahe wäre sogar mehr passiert. Ein absolutes Tabu. Meldas Mutter ist eine fromme Frau, sie betet fünfmal am Tag und trägt Kopftuch. Melda hingegen definiert ihren Glauben freier: "Ich erlaube mir, ein paar eigene Regeln aufzustellen, nur für mich." Wenn der Islam verlange: kein Sex vor der Ehe, dann sei ihre Antwort: okay, dann eben auch keine Hausaufgaben vor dem Abitur. So hat sie es geschrieben. Man muss ja schließlich wissen, worauf man sich einlässt. Die Ehe ihrer Eltern wurde arrangiert, "sie wurden einfach von ihren Eltern zusammenorganisiert". Unvorstellbar für Melda.
Sie schreibt auch, wie sich eine Gleichaltrige vom Freund und von den Eltern vorschreiben lässt, was sie tun darf und was nicht. "Anscheinend ist es unheimlich bequem, nicht mit eigenen Gedanken, Wünschen oder Vorstellungen anzuecken oder sonst irgendwie aus der vorgegebenen Rolle zu fallen", kommentiert Melda. Und beschreibt auch ihre eigene Hilflosigkeit. "Ich merke, wie ich selbst Vorurteile entwickle gegen Migranten, meine eigenen Landsleute, gegen Mädchen, die in meinem Alter sind. Warum laufen sie mit Scheuklappen durch die Gegend? Warum prägen sie keine eigene Persönlichkeit aus?" Integration, findet Melda, "fängt damit an, dass man mitmacht". Kommunikation, Partizipation. Sie selbst engagiert sich bei der Türkischen Gemeinde in Deutschland, versucht, Jugendliche für Bildungsprojekte zu gewinnen, organisiert Feste, hält Vorträge.
Melda wirkt heute befreit. Sie hat ihren Weg gefunden. Sie hat ihr Buch geschrieben. Sie hat jetzt keine Geheimnisse mehr. Alles, was man als Teenager so vor seinen Eltern und Fremden natürlich sowieso verbirgt, hat sie sich von der Seele geschrieben. Zum Teil auch ohne Rücksicht auf die Intimsphäre anderer. Sie erzählt von einer Freundin, die schon mit vielen Typen im Bett war, und von einer anderen, die Melda ein schlechtes Gewissen machte, weil sie kein Kopftuch tragen wollte. Es ist ein kultureller Tabubruch, ein solches Buch von einer 19-Jährigen. Deswegen hatte sie vor dem Erscheinungstag auch Angst. Sie fragte sich, wie die Eltern, die Familie, die Nachbarschaft reagieren würden.
Die Familie wusste natürlich vorher Bescheid. Während eines Praktikums bei der Türkischen Gemeinde war Melda von einer Agentin gefragt worden, ob sie das Buch machen würde. Melda überlegte nicht lange und sagte zu. Ein halbes Jahr lang schrieb sie. Die Eltern waren einverstanden. "Sie haben mir nicht reingeredet, ich durfte schreiben, was ich wollte", sagt Melda. Trotzdem fürchtete sie, mit manchem vielleicht die Gefühle ihrer Eltern zu verletzen. Dasselbe Gefühl, das sie bei jedem Streit, jeder Meinungsverschiedenheit spürte. "Man hat Angst, die Kultur zu verletzen, Wertvorstellungen. Diese Hemmschwelle ist bei deutschen Jugendlichen, glaube ich, nicht so da."
Der Bruder las das Buch als Erster und fand es gut - "er ist nicht so, wie sich viele den typischen türkischen großen Bruder vorstellen, er ist ganz locker!", sagt Melda. Die Mutter habe es auch gelesen. Zu Anfang sei sie schockiert gewesen über die Offenheit ihrer Tochter. "Die Situation ist schon schwierig für sie, weil jetzt alles öffentlich ist, jeder kann lesen, wie mein Leben aussieht." Der Vater hat das Buch bislang nicht angerührt, "der muss das alles erst mal verdauen".
Melda plant jetzt ihre Zukunft. Sie will studieren, Jura vielleicht oder Politikwissenschaft. Viele Dinge, die in ihrem Buch stehen, sind mittlerweile vergessen und verziehen. "Ich weiß", sagt sie, "dass meine Eltern mich lieben und hinter mir stehen."
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