Rauchverbot in Aktion: Zwei Fliegen mit einer Klappe?
Zuerst hat ihnen die Wirtschaftskrise schwer zugesetzt. Den Rest besorgte das Rauchverbot. Betreiber von Kaffees und Restaurants bangen um die Existenz ihrer Einrichtung, die Kellner um ihre Arbeit. Nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise ist das Kundenaufkommen ohnehin um etwa 30 bis 40 Prozent zurückgegangen. Dann kam das Rauchverbot. Die Bilanz ist bereits zwanzig Tage nach seinem Inkrafttreten ein Rückgang von Kundschaft um durchschnittlich mehr als 60 bis 70 Prozent und das ohne Rücksicht auf Renommee und Ruf des Etablissements.
Schätzungen zufolge sind in der Türkei ungefähr 22 Millionen Menschen Raucher. In allen Einrichtungen der Gastronomie und des Kaffeehausgewerbes wird der Anteil der Raucher auf über 90 Prozent geschätzt. Von hundert Gästen sind vielleicht gerademal fünf Nichtraucher, bemerkt ein Gastwirt. Ein Teil der Kunden raucht aber nur um des Genusses an dem Rauch willen, fügt ein anderer hinzu. Zu einem Glas Raki, sagt er, gehört der Rauch einer Zigarette. Dass die Türken insbesondere bei Anlässen der Entspannung und Erholung eine starke Zuneigung für Rauch haben, ist keine Neuigkeit. Man braucht sich bloß an die Grillorgien in Park- und Grünanlagen zu erinnern.
Am 19. Juli ist in der Türkei ein umfassendes Nikotinverbot in Aktion getreten. In keiner überdachten Gaststätte darf mehr geraucht werden. Davon sind auch alle Lokale betroffen, wo überwiegend nur Wasserpfeife geraucht wird. Wer es wagt, in den Innenräumen einer Bar, eines Restaurants oder Kaffeehauses eine Zigarette, Zigarre, Pfeife oder Wasserpfeife zu rauchen, riskiert eine Geldstrafe von 69 TL. Als erste Ordnungshüter vor Ort sind die Lokalbesitzer auserwählt, ihnen wurde bei der Kontrolle eine sehr hohe Verantwortung auferlegt. Wenn ein Lokalbesitzer das Rauchen in seiner Einrichtung zulässt, droht ihm eine Geldstrafe von umgerechnet über 2 Tausend Euro. Für viele ist das alles andere als ein Pappenstiel.
Das Rauchverbot hat bereits einen Toten und einige Verletzte gefordert. Als Gäste, die rauchen wollten, vom Wirt aufgefordert wurden, das zu unterlassen, sprachen in einem der Fälle die Fäuste, in einem anderen Fall war es die Waffe, die zum Einsatz kam. Trotzdem ist die Zahl der Vorfälle in der Summe noch als gering zu nennen, was auch kein Wunder nimmt. Denn in den Innenräumen vieler Kaffehäuser, Restaurants und Bars herrscht seit dem Inkrafttreten des Verbots gähnende Leere.
Rauchen schadet der Gesundheit. Arbeitslosigkeit etwa nicht?
Über die gesundheitsgefährdenden Konsequenzen des Nikotinrauchs braucht man sich nicht zu unterhalten. Sie sind hinlänglich bekannt. Aus gesundheitlicher Sicht gibt es wahrscheinlich kein einziges Argument, womit man eine Kritik des Rauchverbots rechtfertigen könnte. Dennoch hat das Thema weitere Kehrseiten. Von den individuellen Rechten von Rauchern mal abgesehen, sind die berechtigten Existenz- und Arbeitsplatzsorgen von Gastwirten und Kellnern von nicht minderer Bedeutung.
Die Föderation von Kaffeehausbetreibern meldet aktuell, dass neben dem drastischen Rückgang von Kundschaft nur 20 Tage nach dem Inkrafttreten des Verbots allein in Istanbul 540 Lokale bereits geschlossen haben. Daneben haben zahlreiche Kaffees und Restaurants schon mit Entlassung von Kellnern angefangen und werden dies fortsetzen, wenn ihnen die Kundschaft weiterhin ausbleibt. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die meisten der Gastwirte wie auch Kellner ungelernte Kräfte sind und die Arbeitslosigkeit im Gefolge der schweren Wirtschaftskrise ohnehin rasant wächst, werden die Folgen aller Voraussicht nach nur verheerend sein. Vielen Mitarbeitern des Kaffee- und Restaurantgewerbes steht die Angst um ihre Zukunft jetzt schon regelrecht ins Gesicht geschrieben. Rauchen schadet der Gesundheit. Das ist gewiss. Aber wer könnte sagen, dass die Arbeitslosigkeit für die Gesundheit förderlicher sei?
Wenn es man dabei tatsächlich um den Nikotinrauch und die Gesundheit ginge!
Das Rauchverbot haben nicht die Türken erfunden. Zuerst trat es in den USA und Kanada in Kraft und ab 2007 folgten mehrere Länder der EU. Jedoch sind inzwischen einige Länder bereits dazu übergegangen, das Rauchverbot noch einmal zu revisieren. Selbst in Deutschland, in dem vielleicht die leidenschaftlichsten aller Gesundheitsanhänger zumindest des europäischen Kontinents beheimatet sein dürften, ist man dabei, das Rauchverbot aufzulockern.
Die Türkei hingegen zeigt sich unerbittlich. Das haben viele Raucher so nicht erwartet, am allerwenigsten die Gastwirte und Kellner. Dass das umfassende Verbotsgesetz am 19. Juli in Kraft treten werde, war seit mindestens über einem Jahr bekannt. Teile des Gesetzes waren schon vor einem Jahr umgesetzt worden. Doch fast getreu dem türkischen Sprichwort: "Dem Türken kommt der Verstand erst im Nachhinein" hat man sich mit Gedanken über die eventuellen Folgen, die eintreten könnten, vorab nicht belastet. Wie sie selber aufrichtig zugeben, haben viele auch gedacht: "Bis dahin ist noch lange hin. Wir sind hier in der Türkei, es wird sich schon ein Ausweg finden, wenn es denn eines Tages soweit ist." Nun ist es soweit, das Erwachen lässt sich nicht mehr hinauszögern.
Die Interessenvertretungen und Vereine von Kaffeehaus- und Restaurantbetreibern appellieren beinahe verzweifelt an die staatlichen Verantwortlichen für eine Auflockerung des Verbots, weil sie andernfalls nicht wüssten, wie sie ihre Einrichtungen über Wasser halten sollen. Gegenüber den Forderungen und Appellen einer Auflockerung des Verbots zeigt sich das Ministerium für Gesundheit einstweilen ziemlich unberührt und wirbt aufwendig mit Fernsehspots und Plakaten für eine rauchfreie Atmosphäre. Wenn es man dabei tatsächlich einzig und allein um den Nikotinrauch und die Gesundheit ginge!
In Deutschland beispielsweise ist in den vergangenen Jahren der Bierverbrauch auffällig gesunken. Der Deutsche Brauer-Bund schätzt das Minus allein im zurückliegenden Jahr auf gut zwei Prozent. Die Trinkgewohnheiten der Deutschen hätten sich gewandelt, aber auch das Rauchverbot sei dafür verantwortlich, durch das allein der Fassbierabsatz in der Gastronomie 2008 um 20 bis 25 Prozent einbrach. Warum sollte ausgerechnet in der Türkei der Alkohol vom Rauchverbot verschont bleiben?
Die meisten Gastwirte und Kellner, die übrigens begierig sind, über ihre momentane Not Auskunft zu geben, würden gerne glauben, dass es sich bei diesem umfassenden Verbot wirklich einzig um Gesundheit dreht. Aber inzwischen will vielen von ihnen dieser Glaube doch nicht so echt gelingen. Sie sagen, um nur ein Beispiel zu nennen, "Die Türkei exportiert Obst und Gemüse nach Europa. Weil aber einiges davon den europäischen Gesundheitsstandards nicht entspricht, kehrt es zurück auf den türkischen Markt und wir müssen es kaufen." Wenn man sie ließe, würden sie stundenlang allerlei Beispiele aufzählen.
Um weitere Folgen des Rauchverbots abzusehen, muss man kein Hellseher sein: In den Lokalitäten werden wenige Nichtraucher unter sich sein und einstweilen vom Rauch verschont bleiben, vielleicht wird sich auch die Zahl der Raucher etwas reduzieren, aber die meisten Einrichtungen der Gastronomie, vor allem auch die des Vergnügungssektors mit Alkoholausschank werden sich ebenfalls in Rauch auflösen. Für die AKP wären das zwei Fliegen mit einer Klappe. Ihre verschiedentlichen Versuche, den Alkoholausschank durch Erschwernisse bei der Lizenzvergabe für Alkohol einzuschränken oder sogenannte rote Alkoholzonen einzurichten mit dem Zweck, Gaststätten mit Alkohol aus den Stadtzentren zu verdrängen, haben bislang im In- und Ausland stets Aufsehen und Aufruhr geweckt. Diese Schlussfolgerung drängt sich naheliegend auf, wenn man sich nur die Spannweite und Härte des Verbots anschaut. Selbst Regelungen in einigen westlichen Ländern, wo zumindest abgetrennte Ecken für Raucher vorgesehen wurden, werden haushoch übertroffen.
Im Augenblick herrschen hochsommerliche Temperaturen. Im Sommer ziehen die meisten Kunden ohnehin vor, im Freien zu sitzen. Allerdings hat das Rauchverbot den Drang ins Freie drastisch verstärkt. Fasst alle Geh- und Bürgersteige vor den Lokalen sind mit überfüllten Tischen und Stühlen, die raus gestellt werden, regelrecht belagert. Wer keinen Ausweichplatz im Freien vor oder hinter dem Lokal hat, ist besonders übel dran. In ihrer Not haben manche Gastwirte die Dächer von ihren Einrichtungen abgetragen. Aber diese Notlösungen werden auch nur vorübergehend helfen.
Der eigentliche Crash wird voraussichtlich ab den kühleren Tagen eintreten, es sei denn im Land bricht eine Gesundheitseuphorie zugunsten einer allgemeinen Kampfansage gegen das Rauchen aus. Doch das steht einstweilen nicht in Sicht. Bis es soweit ist, dass die Überzahl der Türken auch ohne den Rauch Genusserlebnisse insbesondere in Kaffees und Kneipen entfaltet, kann noch lange dauern. Falls die Gastronomie dem Rauchverbot erliegen sollte, werden im Gefolge nicht nur zahlreiche Kaffees und sonstige Lokale schließen. Mit ihnen wird sicherlich auch eine der wichtigsten Schauplätze kommunikativer Geselligkeit abhanden kommen, ohne die man sich die türkische Kultur so recht nicht vorstellen vermag.
Quelle