Wer in der Türkei Kaffee oder Tee genießt, lernt viel über zwei landestypische Genussmittel und über traditionelle Formen der Gastlichkeit in der osmanischen Kultur. Alexandra Petersen
„Eine Tasse Kaffee steht für 40 Jahre Freundschaft“. Bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts, als Sultan Süleyman der Prächtige das aromatische Gebräu vom damaligen Gouverneur von Äthiopien als Geschenk erhielt, galt Kahve, der starke türkische Mokka, als ein bedeutsames Zeichen der Gastlichkeit. Zuerst nur Regenten und wohlsituierten Schichten vorbehalten, wurde er bald zu allen passenden Anlässen kredenzt: Vom alltäglichen Besuch bis zu Familienfesten – die Aussage „Kommen Sie doch auf einen Kaffee rein!“ ist mehr als eine Einladung auf ein Getränk. Es ist eine kostbare Geste, eine Art Einladung zu gegenseitiger Vertrautheit. Wer dem anderen Kahve anbietet, öffnet sich ihm als Freund.
In der Türkei wird Kaffee nicht wie bei uns, konsumiert, um wach zu werden oder zu bleiben oder um nach dem Essen die Verdauung anzuregen, sondern dient der Kommunikation. Beim gemütlichen Miteinander während des Kaffeetrinkens erzählt man sich Begebenheiten aus den Familien, Geschehnissen aus dem Leben und offenbart einander auch kleine, ganz private Geheimnisse. Aber auch der Zukunft gilt der gemeinsame Blick. Wenn der Kaffee genossen ist, kommt die Zeit für eine mystische alte Tradition: das Lesen aus dem Kaffeesatz. Mit dem kleinen Unterteller wird die Tasse abgedeckt, dreimal leicht geschüttelt und verkehrt herum wieder abgestellt. Währenddessen wünscht sich jeder im Stillen etwas – ob es in Erfüllung geht, lesen weise türkische Frauen dann aus dem Kaffeesatz.
Auch Çay, ausgesprochen tschai, der türkische Schwarztee, der ursprünglich aus Georgien stammend seit ungefähr 1930 in der Schwarzmeerregion angebaut wird, spielt im Tagesablauf der türkischen Bevölkerung eine wichtige Rolle: Jedem Gast wird Tee, landestypisch serviert in Gläsern, angeboten, um ihn im Haushalt, im Basar oder Geschäft willkommen zu heißen oder als Getränk vor oder nach dem Essen.
Der im Semaver oder zu Hause im Çaydanlik auf dem Herd zubereitete „acik Çay“, also der helle, schwächere Tee-Aufguss, oder der „koyu Çay“, der viel stärkere Aufguss, wird schwarz getrunken. Auf Milch wird vollkommen verzichtet, da sie den typischen Geschmack des Tees verfälscht. Es gilt sogar als große Beleidigung dem Gastgeber gegenüber, um Milch zu bitten. Einzig und allein zwei Zuckerwürfel oder Teelöffel Zucker unterstreichen das Aroma des wohltuenden türkischen Tees. Das türkische Frühstück wird, anders als bei uns, von einem Glas Tee begleitet. „Möchten Sie ein Glas Tee?“ – Ob im „Çay Bahçesi“, in den als „Teegarten“ bezeichneten speziellen Teestuben, oder in privater Atmosphäre: Auch Çay ist eine Geste der Freundschaft.
Quelle: öger insider